Ja, das kommt mir auch so vor. Beginnend mit dem Anschlag auf das WTC nahm die "geistig moralische Wende" vom Dicken weltweit konkrete Züge an und Freiheitsrechte wurden wie auch eine soziale Weiterentwicklung gekippt. Vor allem für Europa geht das einher mit einem Zunehmen amerikanischer Prüderie und Bigotterie in der Gesellschaft, die stellenweise schon hexenjagdartige Züge annimmt ("er hat Kinderpornographie gesagt" bzw. der Generalverdacht an jedes männliche Wesen, ein verkappter Kinderschänder zu sein). Alles war damals sicher nicht besser, aber ich wünschte mir doch einiges von der Stimmung der 80er und 90er zurück ...
Ich entdecke dies in alten Serien, aber auch in anderen Kulturerzeugnissen. Über die Musik kann man wahrscheinlich streiten. Was aber auffällt, sagen wir, du konntest wahrscheinlich als Homosexueller für deine Neigung noch gejagt werden (der StGB-Paragraph in der BRD wurde erst 1994 abgeschafft), aber in der Bevölkerung war eine breite Akzeptanz vorhanden für diejenigen, bei denen man es wusste. Scheinbar kam dies auch noch ohne die gängigen Klischees aus - der Durchbruch der Talkshows erfolgte erst später, in welchen sich viele Figuren präsentiert haben, die lediglich ein wenig Aufmerksamkeit gesucht haben. Vielleicht kam dies auch mit der Musik und mit der allgemein sehr "durchwachsenen" Kultur; es gab nicht vieles, das grundlegend verpönt war.
Regeln und Normen wird aber auch nachgesagt, dass sie weniger streng herangezogen wurden.
Nun tja - ich bin ja Kind dieser Zeit. Und ich fand sie damals ... ambivalent: Auf der einen Seite gab's den Dicken (Kohl) und seine "geistig-moralische Wende". Die Alten damals waren derart konservativ, wie man es sich heutzutage wohl kaum noch vorstellen kann. Das war das Klientel, auf das sich der Erfolg vom Dicken aufgebaut hat - zusammen mit den Yuppies, die schon im Anzug auf die Welt gekommen waren (so die Kochs und Wissmanns, falls Dir die Namen etwas sagen). Andererseits gab es eine sehr rege alternative Szene, in der Freiheit gelebt wurde. Es gab keine Denkverbote und man konnte über alles diskutieren. Das war toll! Auch wenn einige Elemente wie zum Beispiel die sexuelle Freiheit, die damals diskutiert wurde, heute als Pädo verschrieen wird. Damals war das kein Thema - das es Kinderschänder gab, war uns auch damals schon klar und dass das alles andere als in Ordnung ist ebenso. Aber die Grundstimmung in diesem Milieu war "so viel Freiheit als möglich". Homosexualität war damals kein Thema - der Paragraph stand nur noch auf dem Papier. Ich schätze, ein Homo hat es heute schwerer, gesellschaftlich akzeptiert zu werden als damals. Wobei in diesem Bereich vieles zusammen kommt: Die Amerikanisierung unserer Gesellschaft, die neue Prüderie, eine Rückkehr in ein Sittenbild der 50er Jahre, die teilweise arg offensive Selbstdarstellung vieler Homos ...
Was übrigens auch toll war ist, dass sich Konservative und eher Progressive gegenseitig leben liessen. An abwertende Sprüche, wie sie heute gang und gäbe sind (von beiden Seiten) kann ich mich nicht erinnern. Ich muss allerdings auch sagen, dass die konservativen Positionen dieser Zeit nicht so grenzdebil waren wie heutzutage. Kohl wäre nie in den Krieg gezogen zum Beispiel. Womit Fischer/Schröder wenig später kaum mehr Probleme hatten und was Kanonen-Uschi heute gradezu offensiv fordert.
Wie gesagt: Diese Grundstimmung ("so viel Freiheit als möglich") hat für eine recht angenehme Atmosphäre gesorgt und eine gesellschaftliche Spaltung, wie es sie heute gibt, war damals undenkbar. Wir alle haben positiv nach vorne geschaut und waren eher gespannt, wie sich das alles entwickelt - ob es vielleicht auch Fehlentwicklungen geben würde? Daran, dass es einen Rückschritt, eine Rückkehr in ein veraltetes Gesellschaftsbild geben würde, hätte damals niemand geglaubt.
Ich weiß nicht, ob diese Aussage falsch ist - wenn es, speziell in Deutschland, eine Zeit der Einheit gab, dann war es wohl diese. Ich weiß nicht, ob dies durch die Musik, durch die Kultur oder irgendwas anderes kam; was aber auffällt, seit Mitte der 2000er Jahre fällt den Leuten plötzlich wieder auf, dass sie in West- oder Ostdeutschland geboren sind. Das umschließt auch Personen, die von der Lebensweise beider Staaten keine oder nur geringfügige Ahnung haben (sei es, weil sie selbst damals Kinder waren, als die Wende kam). In den 90er Jahren schien dies kaum eine Rolle zu spielen, außer für diejenigen, die dadurch ihren Job verloren.
Vielleicht so als ein Stimmungsbild - schau mal auf http://de.indymedia.org/2005/05/116797.shtml Dort geht es um die Dammbesetzung und das Hüttendorf gegen die damals geplante Taunusautobahn - ich habe das noch mitbekommen, auch wenn ich kein aktiver Hüttenbewohner war. Aber vielleicht kannst Du dieser Beschreibung ein bisschen vom damaligen Zeitgeist entnehmen.
While in America the issue of gay marriage has gained significant traction, it seems that is the only issue that has expanded into social consciousness. Everywhere - EVERYWHERE here in the States - narcissists and an utter lack of common compassion has swelled. It's taken a sharp turn for the worse in the last 15 years, and it's very noticeable.
Thinking about it, there's also nothing left but to agree. US politics have gone very aggressive over the last 10 to 15 years. On the inside as well as on the outside, towards abroad. It's not like it never was aggressive, at the beginning of the 90s there still was the first war in Iraq, not to forget the political games that they did in the East, in South America as well as in Africa as the Cold War still was on - but things have taken a very uncompromising trait. Sometimes it also is - not like in the 90s where America still had some influence on what's going on in the world - like America is very busy with itself.
(no subject)
Date: 3 July 2014 09:28 am (UTC)Vor allem für Europa geht das einher mit einem Zunehmen amerikanischer Prüderie und Bigotterie in der Gesellschaft, die stellenweise schon hexenjagdartige Züge annimmt ("er hat Kinderpornographie gesagt" bzw. der Generalverdacht an jedes männliche Wesen, ein verkappter Kinderschänder zu sein). Alles war damals sicher nicht besser, aber ich wünschte mir doch einiges von der Stimmung der 80er und 90er zurück ...
(no subject)
Date: 3 July 2014 10:07 am (UTC)Über die Musik kann man wahrscheinlich streiten. Was aber auffällt, sagen wir, du konntest wahrscheinlich als Homosexueller für deine Neigung noch gejagt werden (der StGB-Paragraph in der BRD wurde erst 1994 abgeschafft), aber in der Bevölkerung war eine breite Akzeptanz vorhanden für diejenigen, bei denen man es wusste. Scheinbar kam dies auch noch ohne die gängigen Klischees aus - der Durchbruch der Talkshows erfolgte erst später, in welchen sich viele Figuren präsentiert haben, die lediglich ein wenig Aufmerksamkeit gesucht haben.
Vielleicht kam dies auch mit der Musik und mit der allgemein sehr "durchwachsenen" Kultur; es gab nicht vieles, das grundlegend verpönt war.
Regeln und Normen wird aber auch nachgesagt, dass sie weniger streng herangezogen wurden.
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Date: 16 July 2014 10:49 am (UTC)Andererseits gab es eine sehr rege alternative Szene, in der Freiheit gelebt wurde. Es gab keine Denkverbote und man konnte über alles diskutieren. Das war toll!
Auch wenn einige Elemente wie zum Beispiel die sexuelle Freiheit, die damals diskutiert wurde, heute als Pädo verschrieen wird. Damals war das kein Thema - das es Kinderschänder gab, war uns auch damals schon klar und dass das alles andere als in Ordnung ist ebenso. Aber die Grundstimmung in diesem Milieu war "so viel Freiheit als möglich".
Homosexualität war damals kein Thema - der Paragraph stand nur noch auf dem Papier. Ich schätze, ein Homo hat es heute schwerer, gesellschaftlich akzeptiert zu werden als damals. Wobei in diesem Bereich vieles zusammen kommt: Die Amerikanisierung unserer Gesellschaft, die neue Prüderie, eine Rückkehr in ein Sittenbild der 50er Jahre, die teilweise arg offensive Selbstdarstellung vieler Homos ...
Was übrigens auch toll war ist, dass sich Konservative und eher Progressive gegenseitig leben liessen. An abwertende Sprüche, wie sie heute gang und gäbe sind (von beiden Seiten) kann ich mich nicht erinnern. Ich muss allerdings auch sagen, dass die konservativen Positionen dieser Zeit nicht so grenzdebil waren wie heutzutage. Kohl wäre nie in den Krieg gezogen zum Beispiel. Womit Fischer/Schröder wenig später kaum mehr Probleme hatten und was Kanonen-Uschi heute gradezu offensiv fordert.
Wie gesagt: Diese Grundstimmung ("so viel Freiheit als möglich") hat für eine recht angenehme Atmosphäre gesorgt und eine gesellschaftliche Spaltung, wie es sie heute gibt, war damals undenkbar. Wir alle haben positiv nach vorne geschaut und waren eher gespannt, wie sich das alles entwickelt - ob es vielleicht auch Fehlentwicklungen geben würde? Daran, dass es einen Rückschritt, eine Rückkehr in ein veraltetes Gesellschaftsbild geben würde, hätte damals niemand geglaubt.
(no subject)
Date: 16 July 2014 12:02 pm (UTC)Ich weiß nicht, ob dies durch die Musik, durch die Kultur oder irgendwas anderes kam; was aber auffällt, seit Mitte der 2000er Jahre fällt den Leuten plötzlich wieder auf, dass sie in West- oder Ostdeutschland geboren sind. Das umschließt auch Personen, die von der Lebensweise beider Staaten keine oder nur geringfügige Ahnung haben (sei es, weil sie selbst damals Kinder waren, als die Wende kam).
In den 90er Jahren schien dies kaum eine Rolle zu spielen, außer für diejenigen, die dadurch ihren Job verloren.
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Date: 16 July 2014 11:01 am (UTC)Dort geht es um die Dammbesetzung und das Hüttendorf gegen die damals geplante Taunusautobahn - ich habe das noch mitbekommen, auch wenn ich kein aktiver Hüttenbewohner war.
Aber vielleicht kannst Du dieser Beschreibung ein bisschen vom damaligen Zeitgeist entnehmen.
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Date: 16 July 2014 11:29 am (UTC)(no subject)
Date: 3 July 2014 01:58 pm (UTC)I don't know what happened.
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Date: 3 July 2014 04:31 pm (UTC)US politics have gone very aggressive over the last 10 to 15 years. On the inside as well as on the outside, towards abroad.
It's not like it never was aggressive, at the beginning of the 90s there still was the first war in Iraq, not to forget the political games that they did in the East, in South America as well as in Africa as the Cold War still was on - but things have taken a very uncompromising trait.
Sometimes it also is - not like in the 90s where America still had some influence on what's going on in the world - like America is very busy with itself.